Eines Abends saß ich mit einem guten Bekannten zusammen und wir redeten so über dies und das. Im Laufe unserer Unterhaltung schwärmte er von einer mir bis dahin unbekannten Hunderasse, nämlich von einem „Alpenhütehund“ und dessen Eigenschaften.

Der Inhalt des Gesprächs fesselte mich und ließ mich nicht mehr los. Tags drauf suchte ich nach Informationen über den Alpenhütehund.

Auf der Internet-Seite des Alpenhütehund Clubs Deutschland e.V. (ACD e.V.) wurde ich fündig. Hier las ich mir die Rassebeschreibung durch und verschlang geradezu alle Informationen. Folgt man diesen Informationen, bin ich auf einen mit alter Geschichte und einmaligen Eigenschaften ausgestatteten seltenen Rassehund gestoßen.

Laut der Rassebeschreibung (http://www.acd-ev.de/wesen.htm) ein absoluter Traumhund! Es klang fast zu schön, um wahr zu sein. Ein Hund mit einem eher verkümmerten Jagdtrieb. Ein Hund, den man überall frei laufen lassen konnte, der sich an seinem Menschen orientiert und nicht wegläuft. Ein sozialer Hund, der niemals unangemessen aggressiv ist. Ich hatte ihn gefunden, den perfekten Hund, vom dem jeder Hundebesitzer träumt!

Der nächste Schritt war programmiert. Ich wollte, ja ich musste geradezu die Alpenhütehunde live erleben. Gesagt, getan! Ich nahm Kontakt zur Vorsitzenden auf und durfte an einer der Wanderungen der Alpenhütehunde teilnehmen und den Alpie, wie sie den Alpenhütehund liebevoll abkürzen, live und in Farbe erleben.

Ich war begeistert, und so wuchs der Wunsch, neben Ronja, meiner Schäferhündin, auch einen Alpenhütehund zu adoptieren.

Am 20.06.2009 kam dann meine Mimiteh Remiga zur Welt und zog acht Wochen später bei mir ein. Remi, wie ich sie liebevoll nannte, war mein Traumhund. An einigen Stellen hatte ich zwar den Eindruck gewonnen, Remi habe ihre Rassebeschreibung nicht gelesen, aber wir kamen prima klar.

Meine Begeisterung für diese süße kleine Hundedame war so groß, dass ich mich entschied, alles für den Erhalt dieser einzigartigen Rasse zu tun. Drei Jahre später entschloss ich mich dann, mit meiner Remi zu züchten.

Die Suche nach einem passenden „Ehemann“ für meine Remi gestaltete sich allerdings nicht leicht. Ich hatte mich auf einen Kurzhaar-Rüden festgelegt. Die Auswahl war nicht groß, da nur wenige Kurzhaar-Alpenhütehunde zur Verfügung standen. Am Ende fiel meine Wahl auf Never Picco vom Heidegrund. Am 14.07.2013 wurden Remi + Picco in Haltern am See ein Paar.

Remi wurde tragend, und so wartete ich gespannt und voller Vorfreude auf die kleinen Alpies. Je näher der Zeitpunkt der Geburt rückte, desto größer wurde meine Freude und Anspannung. Ich räumte das Gästezimmer aus und baute es zum Welpen-Zimmer um. Die Wurfkiste fand ihren Platz und wurde kuschelig ausgestattet, so dass jetzt alles bereit war für die kleinen Welpen. Dann endlich war es soweit! Am Abend des 11.09.2013 fingen die Wehen an und zogen sich bis in die Nachmittagsstunden des nächsten Tages hin. Ich wich meiner kleinen Maus nicht mehr von der Seite und zog mit ihr ins Welpen-Zimmer. Hier warteten wir gemeinsam auf ihren Nachwuchs. Und dann endlich ging es los. Remi hat die Geburt souverän gemeistert und ihre Kleinen sofort liebevoll umsorgt.

Fünf Welpen erblickten das Licht der Welt. Der sechste und letzte Welpe kam tot auf die Welt, mit nur drei Beinchen und einem gespaltenen Mäulchen. Ein Schock - aber die 5 anderen Welpen, 4 Rüden und 1 Hündin, waren wohlauf und gediehen prächtig – sodass ich dachte, der Tod des 6. Welpen sei eben ein grausames Schicksal.

Als die Welpen gerade einmal sechseinhalb Wochen alt waren, starb Remi im Alter von gerade einmal vier Jahren.

Sie starb einfach so - ohne vorher auch nur die geringsten Anzeichen irgendeiner Erkrankung gezeigt zu haben.

Bis 14.00 Uhr an ihrem Todestag war alles wie immer. Sie hat gefressen, getrunken, ihre Kinder liebevoll umsorgt und gefüttert, mit Ronja meiner Schäferhündin gespielt. Um 14.00 Uhr legte sie sich hin und zeigte Anzeichen von Übelkeit.

Sie ging in den Garten, fiel um und starb. Ich kann nicht einmal annähernd beschreiben, was ihr plötzlicher Tod bei mir ausgelöst hat. Die Zeit danach hätte grausamer nicht sein können. Ich war nicht nur geschockt, nein ich war wie gelähmt. In dieser Zeit habe ich viel geweint. Der Schmerz war unerträglich, und am liebsten hätte ich mich irgendwo verkrochen um in Ruhe zu trauern.

Aber die Welpen brauchten mich! Sie waren gerade 6 Wochen auf der Welt und schon Halbwaisen. So funktionierte ich! Die Sorge um Remis Kinder hielt mich in Bewegung …. aber ablenken von meiner Trauer um Remi konnten sie mich nicht. Es war ein Alptraum, aus dem ich nicht erwachen konnte.

Ich dachte unentwegt an meine Remi und wie sie vor meinen Augen gestorben war, ohne dass ich nur den Hauch einer Chance hatte, ihr zu helfen. In diese schmerzlichen Gedanken mischte sich auf einmal Havanna. Havanna war eine Tante von Remi. Ihr Tod kam mir plötzlich auffällig ähnlich vor wie der von Remi. Havanna war im Alter von 5 Jahren auch ganz plötzlich gestorben. Havannas Frauchen gab eine Waldstunde in ihrer Hundeschule; mit dabei wie immer Havanna und ihr Rudel. Havanna lief ins Gebüsch, kam wieder heraus, kippte um und starb. Havanna sollte vergiftet worden sein, so lautete die Information zu ihrem Tod. Dieser vermeintliche schnelle Gifttod stimmte mich nachdenklich. Die Beschreibung von Havannas Tod, das Herauskommen aus dem Gebüsch bis zum Ableben schienen identisch mit Remis letzten Minuten. Mit diesen trüben Gedanken widmete ich mich voll der Aufzucht meiner Welpen. Wegen der vielen Welpen-Besucher und der niedlichen und wild tobenden kleinen Welpen hatte ich aber keine Zeit, um weiter zu grübeln und meinen unglücklichen Gedanken nachzuhängen.

Die vier Rüden zogen nach acht Wochen zu ihren neuen Familien und Nala, Remis einzige Tochter, blieb bei mir. In der nachfolgenden Zeit widmete ich mich ausschließlich Nala und deren Erziehung. Ich sah meine kleine Maus und war traurig darüber, dass sie allein war. Ich hatte ja geglaubt, Nala könne mit ihrer Mutter, meiner Remi, aufwachsen und spielen. Ein halbes Jahr später zog Rani Avanti Sora Lahja, eine blondes Welpenkind bei mir ein. Ebenfalls ein Alpenhütehund, die Tochter von Fiete, dem Alpenhütehund ohne Vergangenheit und Papiere. Aber dazu später mehr.

Nachdem einige Zeit ins Land gegangen war, beschäftigte ich mich wieder etwas intensiver mit dem Genpool der Alpenhütehunde und stellte schnell fest, dass der Genpool sehr eng ist. Und mir war klar, dass ich ihn als viel zu eng empfand. Es kam mir vor, als wenn Brüder und Schwestern Kinder zeugten. Starke Zweifel am Genpool der Alpies nagten an mir, aber ich liebte den Alpenhütehund und natürlich vor allem meine beiden Ladies. Zu diesem Zeitpunkt war mir klar: Züchten und Erhalten dieser Rasse ja, aber auf gar keinen Fall mit dem eigenen engen Genpool und nicht um jeden Preis.

Nicht umsonst sagt der Volksmund „Liebe macht blind“. Zu diesem Zeitpunkt hätte ich eigentlich schon deutlich klarer erkennen können, was wirklich vor sich ging. Der kleine totgeborene und missgebildete Welpe und Remis plötzlicher Tod hatten mich zwar aufgeschreckt und misstrauisch werden lassen, aber ich habe zu diesem Zeitpunkt nicht einmal ansatzweise erkannt, was hier tatsächlich passiert.

Voller Stolz habe ich in dieser Zeit sogar ein eigenes Ripsband für den Alpenhütehund gestaltet und fertigen lassen. Ich gestaltete und druckte Aufkleber, belächelte Tierärzte, die den Alpenhütehund nicht kannten und erzählte jedem, der mich nach meinen Hunden fragte, unkritisch die Geschichte des Alpenhütehundes.

Aber zumindest in einem Punkt sah ich klar. Eine weitere Zucht mit meinen Hunden kam für mich nur mit Fremdblut in Frage, und so beschäftigte ich mich intensiv mit dem vorhandenen Genpool und dem Problem, wie man den immens hohen Inzuchtkoeffizienten (IK) und Ahnenverlustkoeffizienten (AVK) positiv beeinflussen könnte.

Ich fing an, Fragen zu stellen, wollte Züchter im Ausland kennen lernen, Verbindungen diskutieren. Leider erhielt ich auf meine Fragen keine zufriedenstellenden Antworten. Und so suchte ich an den unterschiedlichsten Stellen nach Antworten. Ich suchte auch Rat bei der Zuchtwartin des ACD e.V. Aber egal, welche Verpaarung ich mir innerhalb des Genpools mit Nala angesehen habe – es wären bestenfalls nach ihrer Auskunft Welpen dabei herausgekommen mit einem IK von 19,53%.

Jetzt wollte ich mich mit der Zuchtwartin treffen, ihren Rat in meine Überlegungen einbeziehen. Aber ich war ihr dann wohl zu anstrengend, und mein Wunsch nach einem Treffen und der gemeinsamen Suche nach einem geeigneten Rüden für Nala ist bis heute aus Zeitgründen nicht zustande gekommen. Eine derartige Zurückhaltung konnte ich mir gar nicht erklären. Sie machte mich traurig und misstrauisch zugleich. Gehört es doch - schon aufgrund der Satzung, aber gerade wegen ihrer Spezialkenntnisse und Recherchemöglichkeiten - zu ihren elementaren Aufgaben, eine gesunde und inzuchtfreie Rasse zu gewährleisten.

Ich stellte mir aber auch die Frage, was denn mit meiner Rani aus der Zuchtstätte „vom Heidegrund“ ist. Sie ist die Tochter von Fiete und Lassie von der Stevergau. Immerhin wurde Fiete eingekreuzt. Fiete, ein vermeintlicher Alpenhütehund ohne Papiere und ohne Geschichte, sollte frisches Blut in den Genpool bringen. Wieso war Fiete ein Alpenhütehund? Die Besitzerin hatte Fiete aus einem Tierheim. Fiete wurde offenbar allein durch Inaugenscheinnahme der 1. Vorsitzenden des ACD e.V. und 2 weiteren Mitgliedern des Vereins zum Alpenhütehund erklärt. Damals habe ich mir nichts dabei gedacht. Heute kann ich nur fragen, wie so etwas sein kann. Es gibt Gentests, und das nicht erst seit ein paar Monaten. Anhand dieser Gentests ließe sich genau bestimmen, welcher Rasse der jeweilige Hund angehört. Warum also eine solche Vorgehensweise? Eine Antwort auf diese Frage fand ich erst später.

Da Fiete Ranis Vater ist, hat Rani einen IK von 0%. Optimal für die Zucht - dachte ich! Leider war die Auskunft der Zuchtwartin auf meine Fragen ernüchternd. Für Rani erhielt ich ähnliche Ergebnisse, wie ich sie für Nala bekommen hatte. Bestenfalls kam ich auf einen IK von 19,53%. Ich fragte mich, warum. Telefonierte mit Tierärzten und anderen Züchtern. Ich merkte sofort, dass dies ein schwieriges Gebiet ist und man sich schnell auf Glatteis begeben kann. Natürlich ist Rani mit allen Alpies genauso so eng verwandt wie Nala. Zwar nur mütterlicherseits, aber am Ende kam doch ein hoher Inzuchtkoeffizient heraus. Ein Blick auf den AVK (Ahnenverlustkoeffizient) macht die Situation nicht besser.

Diese Informationen verstärkten meine Entscheidung, nach einem Fremdrüden zu suchen. Für mich stand fest, dass ich nur verantwortungsvoll weiterzüchten würde mit einem Alpenhütehund außerhalb unseres engen Genpools. Alles andere ist aus meiner Sicht absolut verantwortungslos. Bei Fachverbänden und Internetforen suchte ich nach Anhaltspunkten. Es musste doch irgendwo in Europa einen passenden Rüden geben! So gab es nach Vereinsangaben 1988 den ersten Wurf Alpenhütehunde in Deutschland mit Trixi und einem Alpenhütehund namens Mercator aus dem Engadin. 1994 bekam Tanya mit einem Enno von der Vogelriehe Welpen, 1995 und 1997 bekam Tanya mit einem Dingo vom Darkenwald Welpen und 1999 bekam AThana mit einem Alpenhütehund, dessen Name mir nicht bekannt ist, einen Wurf.

Waren die Deckrüden wirklich alle Alpenhütehunde?

Wenn dem so war, dann musste es doch in der Alpenregion noch Alpenhütehunde geben! Ich suchte also in der Alpenregion nach Hinweisen, suchte nach den Zwingern der Väter, um irgendwo einen Fremdrüden zu finden. Nirgendwo wurde ich fündig.

Die Hinweise, die es ausschließlich auf den Seiten des ACD e.V. gab, auf die Geschichte der Alpenhütehunde und deren Quelle stellten mich nicht mehr zufrieden. Egal wieviel Zeit, Mühe und Anstrengungen ich auch investiert habe: Nirgendwo gab es den kleinsten Hinweis zum Alpenhütehund. Alle Informationen zu dieser Rasse finden sich ausschließlich auf der Seite des ACD e.V.

Mir kam das Fehlen weiterer Alpenhütehunde auf der Welt recht merkwürdig vor. Es konnten doch nicht von jetzt auf gleich alle Alpenhütehunde ausgestorben sein?

Plötzlich war ich hellwach und geradezu elektrisiert.

Warum, stellte ich mir auf einmal die Frage, wurde bereits im Jahr 2000 anstelle eines Alpenhütehundes ein Sheltie in die Zucht aufgenommen. Und warum wurde Fiete genommen, der Hund, der offenbar durch bloße Inaugenscheinnahme zum Alpenhütehund erklärt wurde. Es gab im Jahre 2000 zwei Zuchthündinnen, Cherie und Siona, die beide Töchter von Tanya und Dingo waren. Wieso, fragte ich mich, hat man schon in einem so frühen Stadium der Zucht, nämlich 1995 und 1997 Tanya mit Dingo zweimal hintereinander verpaart. Damit waren schon zu diesem Zeitpunkt alle Alpenhütehunde aus diesen beiden Würfen Vollgeschwister. Da es zu dieser Zeit aber nur die Zuchtstätte „vom Heidegrund“ gab, waren alle nachfolgenden Alpenhütehunde Geschwister. Aber damit nicht genug. Es ging sogar noch schlimmer.

Die Töchter von Tanya, Siona und Cherie bekamen den gleichen Ehemann. Siona und Cherie waren Vollschwestern. Beide Hündinnen hatten je zwei Würfe, und jedes Mal war der Sheltie Cascaya Basti, genannt Merlin, der Vater. Die Alpenhütehunde aus diesen Würfen sind somit alle Halbgeschwister und zeitgleich Cousin/Cousine. Alle, wirklich alle nachfolgenden Alpies haben also diesen Sheltie in ihrer Ahnentafel! Jede nachfolgende Generation Alpenhütehunde hat damit einen recht hohen Inzuchtkoeffizienten. Es erschließt sich mir nicht, warum der Sheltie viermal eingekreuzt wurde, denn mit dieser Art der Verpaarung wurde ohne Not ein extrem enger Genpool geschaffen. Gab es schon zu diesem Zeitpunkt nirgendwo mehr einen Alpenhütehund? Einen Hund dieser vermeintlich uralten Rasse?

Mir fielen immer mehr Ungereimtheiten und Widersprüche auf, und mein Gefühl sagte sehr laut, sei vorsichtig!!!!

Ich suchte nach einer geschichtlichen Quelle für den Alpenhütehund, nach einem Hinweis auf andere Züchter.

Wo sind die Zuchtstätten aus der Verpaarung von Tanja und AThana? Wieso finde ich nirgendwo etwas zu diesen Hunden, zu deren Züchtern und zu den Nachkommen dieser Alpenhütehunde. Waren diese Hunde nach dem Deckakt mit Tanya und mit AThana im Bermuda-Dreieck verschwunden? Hatten sich die Züchter dieser Deckrüden in Luft aufgelöst? Waren sie es nicht wert, in der Chronik erwähnt zu werden, während der Sheltie Merlin und deren Besitzerin besonders hervorgehoben werden. Sicher gibt es für diese merkwürdigen Geschehnisse eine plausible Erklärung! Sie wird so wahr sein, wie die Geschichte der „uralten Rasse“ der Alpenhütehunde.

Wie stark ich emotional an die Alpenhütehunde gebunden war, zeigt der Umstand, dass ich trotz meiner Zweifel immer noch an die Geschichte der uralten Rasse der Alpenhütehunde glaubte.

Aber nachdem mir die rosarote Brille Stück für Stück abhandengekommen war, wurde mein Blick plötzlich immer klarer.

Auf den gemeinsamen Wanderungen des Vereins fielen mir immer öfter Aggressionen unter den Hunden auf. Hündinnen bissen oder kniffen andere Hunde. Rüden gingen untereinander heftig aufeinander los und gingen sogar Welpen an, sodass es nicht selten unter den Hundebesitzern zu heftigen verbalen Auseinandersetzungen kam.

In der Rassebeschreibung des Vereins liest es sich so:

“Ein perfekter Alpenhütehund MUSS verträglich sein. Er MUSS im Freilauf gehorsam sein. Und er darf NIE jagen!!“

Ich erinnerte mich, dass man immer gesagt hatte, egal wie viele Alpies zusammenlaufen, Aggressionen untereinander gibt es nicht. Alpies machen so etwas nicht! AHA….

Allein beim Thema “Jagen“ fallen mir ganz spontan viele Alpenhütehunde ein, die dann wohl ihre Rassebeschreibung nicht gelesen haben. Mir ging vieles durch den Kopf. Plötzlich zweifelte ich an meiner Wahrnehmungsfähigkeit. Hatte ich vorher die Hinweise zum Verhalten und zur Gesundheit der Alpies nicht wahrgenommen oder ist es erst in den letzten Jahren schlimmer geworden? Ist meine Totgeburt, Remis + Havannas Tod, das Leerbleiben einiger Hündinnen und diese Aggression ein erster Hinweis auf einen immer enger werdenden Genpool und damit ein Hinweis auf Inzucht? Solche Gedanken lassen einen nicht los. Es ist auch sehr schwer, auf solche speziellen Fragen eindeutige Antworten zu finden.

Als mir jedoch der Beschluss der Jahreshauptversammlung vom 28.02.2016 in die Hände fiel, aus dem hervorging, dass mit einer Hündin, die an einer Gebissverkürzung leidet, probeweise für einen Wurf gezüchtet werden sollte, habe ich die Welt nicht mehr verstanden und meinen Wunsch, Alpenhütehunde zu züchten, aufgegeben. Das Zuchtziel, gesunde Hunde zu züchten, wurde nach meiner Auffassung durch diesen Beschluss der Jahreshauptversammlung bis in die Grundmauern erschüttert. Dass diese Ausnahme ausgerechnet für die Hündin der 1. Vorsitzenden gemacht wurde, ist sicher nur reiner Zufall.

Ich fand und finde so etwas verantwortungslos gegenüber der Zucht, den daraus entstehenden Tieren und auch gegenüber den späteren Adoptiveltern dieser Tiere. Fachleute haben mir bestätigt, dass es keinen vertretbaren Grund gibt, der eine Zuchtzulassung mit einer derartigen Gebissdeformation rechtfertigen würde.

Warum um alles in der Welt trifft der Verein eine solche Entscheidung?

 



Fragen über Fragen. Ich wollte die Wahrheit kennen und war nahezu besessen, hinter die Kulissen zu gucken, auch ohne Vereinsunterlagen und ohne Unterstützung. So stieß ich bei weiteren Recherchen auf zwei Zeitungsartikel aus dem Jahr 1991.

Der eine Artikel berichtete über 7 Welpen der Stockhaarigen Bergamasker, geboren beim 2. Vorsitzenden des „Deutschen Clubs für Stockhaarige Bergamasker Hirtenhunde e.V.“. Der Artikel führte weiter aus, dass die 1. Vorsitzende des Deutschen Clubs für Stockhaarige Bergamasker Hirtenhunde e.V. bereits 1988 einen Wurf Bergamasker Welpen gezüchtet hatte. Auch hier, so lese ich, soll die legendäre Trixi die Mutter aller Stockhaarigen Bergamaskersein. (Quelle: Zeitungsartikel WAZ vom 20.04.1991).

Als ich das las, war ich wie erstarrt. Wie konnte so etwas sein? Langsam dämmerte mir, dass ich offenbar in den letzten sieben Jahren einem gut inszenierten Märchen aufgesessen war.



Auf die Fährte gesetzt, ergab die weitere Nachforschung, dass die Begründerin und 1. Vorsitzende des Alpenhütehunde Clubs Deutschland e.V. offenbar noch unter ihrem Mädchennamen am 15.02.1990 bereits den „Deutschen Club für Stockhaarige Bergamasker Hirtenhunde e.V.“ gegründet hatte. Natürlich ein Verein mit deutschlandweiter Ausprägung (Quelle: Amtsgericht Gelsenkirchen, Register Nr. VR 10617).



Ein weiterer Zeitungsartikel zeigt die heutige 1. Vorsitzende des ACD e.V. als junges Mädchen auf einem Foto mit Trixi im Arm und der Headline:

„Von der Promenaden-Mischung

zum 80.000-Mark-Hund“.

In dem Artikel geht es um eine verstoßene Hundedame aus dem Tierheim, die sich nach einem Blick in ein Hunde-Lexikon als eine extrem seltene und wertwolle Hundedame der Rasse Stockhaarige Bergamasker entpuppte. Von der angeblich über 3000 Jahre alten Rasse soll es nach Vereinsangaben weltweit nur noch 500 Tiere geben.

Geschichten, wie sie das Leben schreibt oder besser: Wie bei Grimms Märchen!



In keinem Lexikon habe ich den Stockhaarigen Bergamasker sowie den Alpenhütehund gefunden. Wie kann es sein, dass ich heute, in Zeiten des Internets und einer globalisierten Welt, nirgendwo etwas zum Alpenhütehund finden kann, während 1988 ein junges Mädchen ein Hundelexikon in die Hand nimmt und dort den Alpenhütehund findet. Was war das für ein Märchen-Buch? Ich konnte auch keinen historischen Beweis dafür finden, dass der Stockhaarige Bergamasker oder der Alpenhütehund als direkter Nachfahre des phönizischen Schäferhundes erwähnt wurde. Es sei denn, man zieht eine Parallele zu Menschen, die zur Steigerung des Wertgefühls von sich behaupten, direkte Nachfahren von Adam und Eva zu sein.

Die Hundedame Trixi aus dem Tierheim verwandelt sich, einem Zeitungsartikel zufolge, wie der Frosch aus Grimms Märchen, nach einem Blick ins Lexikon in einen Prinzen, nämlich einen Abkömmling der seltenen, antiken und wertvollen Rasse des Stockhaarigen Bergamasker, laut der Seite des ACD e.V. allerdings in einen Alpenhütehund. Und genau diese Trixi gewinnt auch noch auf der Welthundeausstellung in Dortmund den ersten Preis in ihrer Rasse. Muss man nicht erst einmal nationaler und internationaler Champion werden, bevor man Weltchampion wird?

Trixi ein Weltchampion ihrer Rasse?

Mir spukte alles durch den Kopf – welche Rasse denn nun? Stockhaariger Bergamasker oder Alpenhütehund? (Quelle: Zeitungsartikel WAZ vom 30.03.1991). Aber auf jeden Fall ein Tier antiker Herkunft und damit ein augenscheinlich sehr wertvoller „Rassehund“.

Gegen wen ist Trixi angetreten in der Gruppe der Stockhaarigen Bergamasker? Ist es nicht der Traum eines jeden Mädchens, den Frosch zu küssen, der sich dann in einen waschechten Prinzen verwandelt?

Ich suchte bei unterschiedlichen Ausrichtern solcher Veranstaltungen nach Antworten und wurde lediglich beim VDH fündig! Der Chronik des VDH zufolge fand aber die Welthundeausstellung in Dortmund nicht im März, sondern erst im Juni 1991 statt.

Ich staunte nicht schlecht, woher die Zeitung im März schon wusste, dass Trixi im Juni Weltchampion werden würde. Aber in einem Märchen ist ja alles erlaubt.

Meine schöne heile Welt der Alpenhütehunde zerbröselte in tausend Stücke. Ein Scherbenhaufen! Die Urmutter der Alpenhütehunde in Deutschland, Trixi, die 1988 ihren ersten Wurf Alpies zur Welt gebracht haben sollte, hat zeitgleich einem Wurf Stockhaariger Bergamasker das Leben geschenkt.

Wo war ich gelandet, etwa in einem Märchen aus 1001 Nacht?

Dem Internetauftritt des ACD e.V. zufolge hatte die 1. Vorsitzende 1988 den ersten Wurf Alpenhütehunde mit Trixi.

Aber wie passen diese Ergebnisse zusammen?

Ist doch der Alpenhütehund laut ACD e.V., durch den Weltverband IKU seit 1994 anerkannt (Quelle: www.acd-ev.de/standard.htm).

Auf der Internetseite des ACD lese ich: „1988 wurde der erste Wurf der Rasse Alpenhütehund in Deutschland registriert. 1994 erfolgte die offizielle Anerkennung des Alpenhütehundes durch den Weltverband der IKU und die Erstellung eines verbindlichen Standards“.

Ich suchte im Internet weiter nach irgendeinem Hinweis auf den Alpenhütehund. Wie konnte es bereits 1994 eine Anerkennung des ACD e.V. gegeben haben, wenn der Club doch erst 2003 gegründet wurde. Unter welcher Flagge ist der Alpenhütehund gesegelt? Wo leben seine Vorfahren? Ich sah ich mir die Seite des Weltverbandes IKU genauer an und fand nirgendwo in den Rasselisten den Alpenhütehund.

Warum nicht? Warum um alles in der Welt konnte ich – außer auf den Seiten des ACD e. V. - keine Rasseinformation zum Alpenhütehund finden?

Jetzt wollte ich es genau wissen und fragte beim Weltverband IKU nach. Die Antwort war so verblüffend wie ernüchternd.

Dr. h.c. (für Kynologie, Inst. USA) Alexander Opel - Vorsitzender der IKU + FCG, erklärte am 12.08.2016 auf Anfrage:

„Eine Anerkennung durch den Weltverband IKU – International Kennel Union ist mir als Vorsitzender der IKU – EU nicht bekannt. Somit ist kein anerkannter Standard für diesen Mischling vorhanden.“

Eine weitere Information, die mich tief erschüttert hat. Ich kann gar nicht in Worte fassen, was diese Resultate bei mir ausgelöst haben. Welchen Sinn um alles in der Welt hat ein derartiges Vorgehen?



Zu diesem Thema antwortete interessanterweise ein Züchter noch im August dieses Jahres einer Interessentin auf ihre Frage, warum sie den Alpenhütehund in den Rasselisten des IKU nicht finden könne, folgendes:

1994 bekamen die ersten Alpenhütehunde Abstammungsnachweise durch den BRV e.V. Sowohl dieser als auch der damalige IKU Weltverband haben sich mittlerweile strukturell verändert und wir haben seit 2003 damit keinen weiteren Kontakt, da es einen eigenen Verein für Alpenhütehunde gibt. Deshalb ist unter IKU auch nichts über Alpenhütehunde zu finden“.



Erstens hat der BRV e.V. seine Vereinsstruktur erst 2010 verändert und ist im IKU aufgegangen. Zweitens ist nach dieser Darstellung der Kontakt zum BRV mit der Vereinsgründung abgebrochen worden. Drittens wurde der Verlust der Anerkennung nicht propagiert.

Anfang der 90er Jahre wurde offenbar ein Antrag auf Anerkennung des Alpenhütehundes beim BRV gestellt. Die Antragstellerin hatte fünf Jahre Zeit bekommen, die Auflagen zu erfüllen, um anerkannt zu werden.

Wegen Nichteinhaltung der geforderten Auflagen durch das Zuchtbuchamt wurde nach Auskunft des IKU die vorläufige Ausstellung der Ahnentafeln seitens des BRV e.V. abgebrochen. Alle bis dahin ausgestellten Ahnentafeln hatten damit ihre Gültigkeit verloren.

§ 3 (Abs. 2) der Satzung des ACD e.V. verpflichtet allerdings den Verein auf folgendes Ziel:

„Ein Ziel ist die Anerkennung der Rasse Alpenhütehund“ durch den größten Weltverband im Hundewesen, der Fédération Cynolodic International (FCI) in Brüssel.“ Der ACD ist bereit, so bald wie möglich mit dem Verband für das Deutsche Hundewesen (VDH e.V.), dem deutschen Mitglied der FCI, zusammenzuarbeiten“.

 

Was ist also in den letzten dreizehn Jahren hinsichtlich der Anerkennung passiert?

Nun, in der Schule hieß es bei einer derartigen Leistung früher:
Thema verfehlt – 6 (ungenügend) – setzen!

Mit all diesen Rechercheergebnissen musste ich mich erst mal zurücklehnen, tief Luft holen und nachdenken. Niemals hätte ich mit einem derartigen Ergebnis gerechnet.

Meine rosarote Welt rund um den Alpenhütehund schien sich in Luft aufzulösen. Nein, nicht schien: Sie hat sich in Luft aufgelöst. Oder anders ausgedrückt: Eine riesengroße Seifenblase ist geplatzt. Ohne großes Tamtam, ohne lauten Knall. Und so kam, was kommen musste. Ich stellte mir die Frage: „Was waren meine sogenannten Alpenhütehunde nun eigentlich?“

Ein Gentest meiner beiden Alpenhütehunde beim Labor Canix reihte sich leider nahtlos in meine Rechercheergebnisse ein.

Dem DNA-Ergebnis zufolge ist Nala ist ein Sheltie/Beagle-Mix mit nicht signifikanten Spuren unter 5% von Zwerg-Rauhaar-Dackel, Welsh Spriner Spaniel, Italienischem Windspiel, Parson Russel Terrier und Zwerg-Kurzhaar-Dackel.



Und Rani ist ein Sheltie/Sheltie-Mix mit nicht signifikanten Spuren unter 5% von Shih Tzu, Deutschem Spitz, Berger Picard, Rat Terrier und Pekinese.



Somit ist für mich klar, Fiete der angebliche Alpenhütehund, ist augenscheinlich ebenfalls ein Sheltie-Mix.

Ich bin - gelinde gesagt - entsetzt, enttäuscht und wütend. Meine vermeintlich seltenen, uralten und wertvollen Rassehunde sind nichts anderes als nach Rassestandards im engen Genpool gezüchtete Mischlinge.

Was leitet jemanden, einem Hund aus dem Tierheim eine derartige Vita zu verpassen? Jetzt wollte ich hinter die Kulissen gucken, die Motivation verstehen. Wer war der Hinweisgeber für diese Geschichte aus 1001 Nacht.

Mit meinen neu erworbenen Antworten und dem Hinweis auf „Stockhaarige Bergamasker“ habe ich mir natürlich den Internetauftritt der Bergamasker etwas genauer angesehen.

Was sind also die Zutaten zu der Geschichte der Alpenhütehunde?

Man nehme, wir erinnern uns, Trixi aus dem Tierheim und ohne Papiere, die sich nach einem Blick ins Lexikon zu einem Juwel, später sogar zu einem Diamanten als unmittelbarer Nachfahre des Phönizischen Schäferhundes als Alpenhütehund verwandelte.

Dieses Juwel vermählt man schließlich mit einem Rüden - auch ohne Geschichte und Papiere - und erhalte aus dieser Verbindung einen antiken reinrassigen Alpenhütehund.

1988 kommt der erste Wurf „Stockhaarige Bergamasker“ oder der ebenfalls seltenen Rasse mit antiker Vergangenheit, „Alpenhütehunde“ zur Welt.

Gewürzt wird diese edle antike Herkunft mit der Geschichte der Phönizier, der Sage über die Entdeckung der Purpurschnecke durch den Hund des Schäfers, die Reisewege der Phönizier, zwei Bilder aus dem Stundenbuch des Herzogs von Berry und einem Fund eines Bronzehundes in Haltern, der das Aussehen eines phönizischen Schäferhundes haben könnte und einem römischen Legionär zugedichtet wird.

Sieht man sich die Bilder des Herzoges von Berry genau an, erkennt man bestenfalls einen Hund. Man benötigt schon geniale Fähigkeiten, wenn man in diesen Bildern und Figuren den Alpenhütehund erkennen will.

Meine Anerkennung also – passt in mein Bild. So kann man versuchen, seinen Hunden den Hauch von Exklusivität und Kostbarkeit zu geben.

Mit diesen antiken, erlesenen und einmaligen Hunden nimmt man an Ausstellungen teil und erhält Titel der Superlative. Aber unter welcher Rasse sind sie denn überhaupt gestartet? Gegen wen sind sie angetreten?

Sowohl den „Stockhaarigen Bergamasker“ als auch den „Alpenhütehund“ habe ich auf keiner Rasseliste und in keinem historischen Hinweis finden können. Worunter sind sie gestartet?

Die angebliche Anerkennung durch den Weltverband IKU gibt der Geschichte noch einmal den nötigen Pfiff und einen würdigen Rahmen.

Diese schöne Geschichte und der würdige Rahmen bekommen aber arge Risse. Wahrheit und Fiktion verschwimmen, wenn man dann in die tatsächliche Geschichte und Zucht des Alpenhütehundes in Deutschland schaut.

Es gab im Jahre 2000 zwei Zuchthündinnen, Cherie und Siona, die beide Töchter von Tanya und Dingo waren.

Siona und Cherie waren somit Vollschwestern. Beide hatten je zwei Würfe mit ein und demselben Sheltie.

Dieser besagte Sheltie wurde somit viermal Vater.

Die 18 Hunde aus diesen Würfen sind somit alle Halbgeschwister und zugleich Cousin/Cousine. Alle, wirklich alle nachfolgenden Alpies haben also diesen Sheltie in ihrer Ahnentafel.

Für mich stellt sich allerdings die Frage, warum im Jahr 2000 ein Sheltie anstelle eines Alpenhütehundes eingekreuzt und durch seine vier Ehen mit zwei Vollschwestern zum Vater aller „Alpenhütehunde“ wird.

2014 wird Fiete, ein angeblich durch Inaugenscheinnahme identifizierter reinrassiger Alpenhütehund, in Wahrheit ein Rüde ohne Geschichte, eingekreuzt. Mit Blick auf Ranis DNA-Ergebnis wohl eher ein Sheltie-Mix.

Andererseits gibt es 1990 den eingetragenen Verein „Stockhaarige Bergamasker Club Deutschland“ und 2003 den „Alpenhütehund Club Deutschland e. V.“. Alle Clubs haben natürlich eine deutschlandweite Ausrichtung. Aber was steckt dahinter? Wer überblickt das Labyrinth der Fährten?

In der Chronik des Bergamasker (des echten natürlich) lese ich interessanterweise erstmals vom „Cane della Alpi“ und der Geschichte eines Hundes aus der Alpenregion, der dem Schäfer bei der Arbeit hilft. Hier finde ich auch nachvollziehbare Quellenangaben und eine Registrierung und Anerkennung als Rasse.

Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Was bleibt?

 Eine ideenreiche, fantasievolle, schöpferische, fantasiebegabte, einfallsreiche Geschichte aus der Feder von Münchhausen     oder schlimmer?

Meine Geschichte vom Alpenhütehund endet nicht mit den Worten:
„Und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie noch heute!“

Sondern mit einem Zitat